Wie in früheren Artikeln beschrieben, ist die Inzidenz nicht geeignet, um die Schwere der Pandemie zu beschreiben. Durch Änderung der Anzahl durchgeführter Tests kann dieser Wert beeinflusst werden. Die Anzahl der Tests während der ersten Welle betrug nur etwa ein Fünftel der Tests, die kurz vor dem zweiten Lockdown durchgeführt wurden. Da die Anzahl der Tests bei der Berechnung der Inzidenz aber nicht berücksichtigt wird, kann dieser Wert nicht als objektives Bewertungskriterium herangezogen werden. Es kann aber noch weniger sein, dass dieser Wert als wesentliche Entscheidungsgrundlage für das Aussetzen von Grundrechten herangezogen wird.

Als weiteres Kriterium zur Bewertung der Situation habe ich daher die Zahl der Toten pro hunderttausend und Woche vorgeschlagen. An dieser Stelle möchte ich nicht diskutieren, ob es sich bei den Toten um Tote handelt, die an oder mit Corona verstorben sind. Es ist nun das eine, ob man einen Menschen mit positivem PCR Test, erst recht mit einem ct-Wert größer 30, als einen Infizierten zählt oder nicht. Bis zu einem gewissen Grad ist das Ermessenssache. Ein Toter dagegen ist in jedem Fall ein Toter und sicherlich keine Ermessenssache. Der Verlauf der Zahl der Toten läuft dem der Infizierten um einen gewissen Zeitraum hinterher: erst Infektion, dann Erkrankung, dann Tod. Das RKI gibt zwei Werte für diesen Zeitraum an. Einmal einen Wert aus einer internationalen Studie von 16-18 Tagen. Zum zweiten wird ein Wert von 11 Tagen für Deutschland für die erste Welle beschrieben.

Die folgende Abbildung zeigt vergleichend den Verlauf der Zahl der Infizierten (schwarze Kurve) mit dem der Toten (rote Kurve) als gleitendes 7-Tage-Mittel. Die zu Grunde liegenden Daten stammen vom RKI. Beide Kurven sind auf ihr jeweiliges Maximum normiert. Das bedeutet, beide Kurven weisen als Maximum den Wert 1 auf. Dies erleichtert den Vergleich.

Die schwarze Kurve zeigt ab etwa t_{296} (12.11.2020) ein Plateau bis etwa t_{313} (29.11.2020). Um Weihnachten (t_{339}, 25.12.2020) ist ein Einbruch vor allem bei der Zahl der Toten zu sehen. Dies lässt sich aus einem veränderten Meldeverhalten um diese Jahreszeit erklären. Ab etwa t_{348} (03.01.2021) wird dies durch einen steilen Anstieg in der Kurve kompensiert – Nachmeldungen. Die Zahl der Infizierten erreicht ihr Maximum bei t_{345} (31.12.2020). Nimmt man den vom RKI publizierten Wert von 16 bis 18 Tagen, die die Entwicklung der Toten den Infizierten nachläuft, müsste man bei der Kurve der Toten ab etwa t_{313} den Beginn eines Plateaus beobachten. Das entspricht etwa dem Tag, an dem die Zahl der Infizierten wieder anfängt zu steigen. Ein solches Plateau ist in der ansteigenden Flanke nicht zu beobachten. Im weiteren Verlauf prägt sich ein breites Maximum ohne klare Spitze aus. Ein deutlicher Abfall stellt sich ab t_{361} (16.01.2021) ein und damit 16 Tage nach dem Maximum der Zahl der Infizierten.

Ab t_{386} (10.02.2021) stellt sich erneut ein Plateau beim Verlauf der Infizierten, dieses mal in der fallenden Flanke, ein. Ab circa t_{400} (24.02.2021) beginnt die Kurve der Infizierten sogar zu steigen. Die Kurve der Toten fällt nach wie vor ohne Ausprägung eines Plateaus bis t_{414} (10.02.2021). Damit sind 28 Tage seit Beginn des Plateaus der Kurve der Infizierten vergangen, also deutlich mehr als die vom RKI genannten 16-18 Tage.

Schlussfolgerung

Der Verlauf der Infektionen stimmt mit dem der Toten nicht in der erwarteten Form überein; er erscheint „entkoppelt“. Nur das Maximum der beiden Kurven verhält sich zueinander wie erwartet. Die Plateaus in der ansteigenden und fallenden Flanke der Inzidenz sind im Verlauf der Toten nicht zu erkennen. Dies betrachte ich als starkes Indiz für meine These, dass die Inzidenz nicht als objektives Kriterium zur Bewertung einer Trendwende genutzt werden kann.

Warum die Kurven so auseinanderlaufen ist unklar. Möglicherweise sind die neuen Mutationen weniger gefährlich und führen in selteneren Fällen zum Tod, oder aber die Impfungen fangen an zu wirken. Was auch immer der Grund sein mag, auf jeden Fall folgt aus den vorliegenden Zahlen, dass die Fallsterblichkeitsrate in Deutschland sinkt auf aktuell circa 2,5 Prozent. Über die gesamte Dauer der Pandemie betrachtet liegt die Fallsterblichkeitsrate in Deutschland bei 2,86 Prozent. Weltweit liegt die Fallsterblichkeitsrate bei 2,2 Prozent (Stand 14.03.2021). Da das RKI die Dunkelziffer auf das 4-6-fache der tatsächlich Diagnostizierten schätzt, kann man auf eine Sterberate von 0,5 Prozent schließen.

Das sind gute Nachrichten. Sollte sich der Trend in der Entwicklung der Fallsterblichkeitsrate bestätigen, könnte dies als Kriterium herangezogen werden, die aktuellen Einschränkungen deutlich zurück zu fahren. Denn neben diesem positiven Trend erscheint eine Sterblichkeit von einem halben Prozent nicht geeignet, eine endemische Lage nationaler Tragweite zu begründen. Damit entfällt auch die Begründung für den Lockdown. AHA-Regeln und Verbot von Massenveranstaltungen beibehalten, ansonsten normales Leben: Schulen öffnen, gebt den Kindern ihr normales Leben zurück !, Öffnung von Restaurants, Theatern, Fitnessstudios und vieles mehr.

2 Gedanken zu „Die Inzidenz: mehr Artefakt als objektives Kriterium“
  1. Hi,
    komme endlich dazu mein Kommentar zu schreiben. Also offensichtlich spielt zumindest die Steigerung der Anzahl der Tests um 20% eine Rolle (habs jetzt nicht gerade parat ob die Zahl Ok ist) . Hab jetzt doch nachgeschaut und diese lustige Seite dabei gefunden.
    https://www.br.de/nachrichten/wissen/corona-zahlen-steigen-nicht-nur-wegen-anzahl-der-tests,SFYSfFv
    Die Seite gibt vor irgendwelche Mythen zu widerlegen und bestätigt aber die Sicht der Kritiker wenn man sie genau liest. An den entscheidenden Stellen stehen so Dinge ( „es wird behauptet, dass ALLEINE die steigenden Testzahlen zu mehr Positiven führen“), die keiner behauptet um diese dann zu widerlegen. Eine äusserst beliebte Taktik wie sie auch die wissenschaftlichen Arschkriecher der Nation Lesch, MailLab, Scobel und Precht gerne anwenden.
    Wer dem Lauterbach nur mal 5 Minuten zuhört dem wird schon übel bei dem Geschwurbel mit den unbewiesenen Behauptungen und unwissenschaftlichen Hypothesen. Nicht eine einzige Aussage die der macht ist belegt und reine Spekulation. Aber selbst meine wissenschaftlichen Mitstudenten aus dem Studium argumentieren mit dem Unsinn. Egal, genug aufgeregt. Das Thema impfen finde ich zur Zeit eh interessanter und leider finde ich immer noch nicht die entscheidende Publikation wieder, die ziemlich souverän nachweist, wieviele Erkrankungen % durch Grippeimpfungen vermieden werden (können). Der Wert war selbst bei einer Impfquote von 75% und einer Wirksamkeit von 85% irre gering. Bin mal gespannt, wie das ganze hier ausgeht. Irgendwann muss die Politik ja dann mal Butter bei die Fische machen – entweder die Impfung wirk bei den Risikopatienten und dann sterben sie nicht mehr an Corona oder die Sterbezahlen bleiben da wo sie sind, dann muss man natürlich fragen warum denn das eigentlich?
    Noch so eine Zahl am Rande – seit Beginn der Pandemie sind 356 Personen unter 50 Jahre mit oder an Corona gestorben. Ich möchte dabei noch nicht einmal alle die Abziehen die einen Unfall hatten und dann auf Corona positiv getestet wurden. Die Zahl ist schon so für sich genommen eindrucksvoll genug. Und nun soll mal ein Mathematiker erklären, wie man gegen ein solches Sterberisiko animpfen möchte? Wenn man dagegen noch die Zahl der Impfopfer setzt, dann wird es echt gruselig. Also wer sich angesichts solcher Zahlen impfen lässt, der sollte eigentlich mit dem Panzer zur Arbeit fahren, weil ansonsten müsste ihm das Risiko eigentlich zu hoch sein.
    Genug geschimpft. Schöner Artikel und vielen Dank Robert.
    Bis die Tage Arne

    1. Hallo Arne,
      vielen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar. Ich kann Deinen Ärger verstehen. Die Befürworter der Corona- und Impfpolitik äußern sich wissenschaftlich unsauber. Und das ist eine sehr nette Formulierung. Schlimmer ist, dass eine kritisch rationale Diskussion mit den Befürwortern der aktuellen Politik nicht wirklich möglich erscheint. Man erlebt das im täglichen Leben selbst und erhält Berichte von unmittelbar Betroffenen. Schön ist aber auch, dass es überraschend viele gibt, die sich ebenfalls kritisch zur Coronapolitik äußern. Der Anteil der Kritischen scheint zu wachsen. Man muss gespannt sein und kann nur hoffen, dass die Auseinandersetzungen friedlich bleiben.
      Das Thema Impfen wird sicherlich noch spannend. Ob man allerdings an vernünftige Rohdaten kommt, um selbst Auswertungen vornehmen zu können, bleibt abzuwarten. Ich finde es sehr spannend, dass die Inzidenz aktuell steigt, trotz Impfungen seit 27.12.2020 und dem Wissen, dass dieser Anstieg nicht ALLEINE auf die Zunahme der Testzahlen zurückzuführen ist.

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