In meinem letzten Beitrag war ich noch der Überzeugung: „Deutschland hat die Pandemie im Griff“. Mittlerweile bin ich mir da gar nicht mehr so sicher. Ehrlicherweise muss man anerkennen, dass es zumindest schwierig ist, die aktuelle Situation zu bewerten. Daher werde ich in diesem Beitrag sozusagen nochmal zu den Wurzeln zurückkehren und die Werte betrachten, die zu Beginn der Pandemie als wichtig erachtet wurden. Eine Betrachtung der Bedeutung der deutlichen Zunahme der Tests pro Woche wird demnächst folgen.
Verdopplungszeit
Die Verdopplungszeit wurde zu Beginn der Pandemie als „gut“ erachtet, wenn diese größer als 9 Tage war. Aktuell liegt die Verdopplungszeit bei 150 Tagen. Das ist deutlich im „guten“ Bereich. Allerdings muss man ebenso beobachten, dass die Verdopplungszeit seit dem 11.07.2020 mit Schwankungen aber dennoch kontinuierlich fällt. Die folgende Abbildung zeigt diese Entwicklung, wobei die Zunahme der durchgeführten Tests noch nicht berücksichtigt ist.
Zuwachsrate
Die Zuwachsrate wird berechnet aus der Zahl der Neuinfektionen bezogen auf die Zahl aller Infizierten. Zum Peak der Pandemie lag die Zuwachsrate bei knapp 0,5% (geglättet).
Mit fortschreitender Dauer der Pandemie ist diese Form der Berechnung nicht mehr sinnvoll. Eine Betrachtung der Änderungsrate der Neuinfektionen pro Tag ist aussagekräftiger. Genau dies leistet der Reproduktionsfaktor:
Reproduktionsfaktor
Die Schwankungen im nicht geglätteten R-Wert zeigen nach wie vor ihre Periodendauer von 7 Tagen, aber die Ausschläge nach oben sind in den letzten sieben Wochen groß geworden. Die Peaks liegen zwischen 2,5 und 4,3. Der geglättete R-Wert liegt knapp über 1 bei 1,13 und im Mittel der letzten 14 Tage bei 1,15. Seit dem 22.07.2020 (t_{183}) oder 30 Tagen kann man einen Seitwärtstrend beobachten und keine weitere Zunahme. Da R aber konstant über 1 bleibt, nehmen die Infiziertenzahlen zu.
Neuinfektionen pro Tag
Die Zahl der Neuinfektionen pro Tag (gleitende Mittelwertbetrachtung) nimmt seit dem 14.07.2020 kontinuierlich zu. Seit dem Minimum von 318 Neuinfektionen pro Tag am 16.06.2020 ist dieser Wert auf aktuell 1322, also auf über das Vierfache gestiegen.
Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche
Der Wert der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche soll 50 nicht überschreiten. Qualitativ folgt der Verlauf exakt der Zahl der Neuinfektionen pro Tag, hat aber den Vorteil normiert zu sein. Das ermöglicht einen länderübergreifenden Vergleich. Dieser Wert nimmt ebenfalls seit dem 14.07.2020 kontinuierlich zu. Seit dem Minimum von 2,68 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche am 16.06.2020 ist dieser Wert auf aktuell 11,15, also auf über das Vierfache gestiegen.
Aktiv Infizierte
Die Zahl der aktiv Infizierten ist eine wichtige Größe für die Beantwortung der Frage, ob unser Gesundheitssystem alle an Corona Erkrankten versorgen kann. In Deutschland stehen 29,2 Intensivbetten pro 100.000 Einwohner zur Verfügung. Das ist die Gesamtzahl für alle Erkrankten. Der Verlauf der Anzahl der aktiv Infizierten folgt in etwa dem Verlauf der Neuinfektionen. Das Minimum wurde am 15.07.2020 erreicht und betrug 6,24 aktiv Infizierte pro 100.000. Aktuell ist dieser Wert auf 19,46, dem mehr als Dreifachen, angestiegen. Die Tendenz ist auch hier zunehmend. Das bedeutet, selbst wenn alle an Corona Erkrankten intensivmedizinisch versorgt werden müssten, wäre das deutsche Gesundheitssystem noch nicht überfordert. Aktuell belegen laut de.statista.com allerdings nur 236 Corona Patienten Intensivbetten. Damit befinden sich circa 1,46% aller aktiv Infizierten in intensiv-medizinischer Betreuung. Corona Patienten belegen derzeit 0,284 von 29,2 oder knapp 1% der Intensivbetten, die pro 100.000 Einwohnern zur Verfügung stehen.
