Interessant sind auch Haffners Ausführungen zur über zwanzig jährigen Gründungsphase ab 1848. Das Deutsche Reich ist also nicht auf einmal entstanden, es hat eine Entstehungsgeschichte. Es entstand aus einem „merkwürdig schiefen“ Bündnis und der deutschen Nationalbewegung. Dabei war Preußen nach modernen Begriffen rechts: ein weitgehend feudalistischer Agrarstaat mit einer ungebrochenen Adelsherrschaft, ausgerüstet mit einer modernen absolutistischen Bürokratie. Die deutsche Nationalbewegung war dagegen links. Sie war von vornherein auf eine Nachahmung des revolutionären Frankreichs gerichtet.
Haffner zitiert einen repräsentativen liberalen Demokraten und prominenten großdeutschen Paulskirchen Politiker, Julius Fröbels: „Die deutsche Nation ist der Prinzipien und Doktrinen, der literarischen Größe und der theoretischen Existenz satt. Was sie verlangt, ist Macht, Macht, Macht! Und wer ihr Macht gibt, dem wird sie Ehre geben, mehr Ehre, als er sich ausdenken kann.“ Aus dieser und anderen Äußerungen aus jener Zeit schlussfolgert Haffner: „Es fehlt nämlich dieser Frühnationalbewegung keineswegs an Vorklängen des Nationalsozialismus: zum Beispiel eine ungeheure Selbstüberhebung und Selbstanbetung; die Deutschen, das ‚Urvolk‘, das eigentliche Volk, das wirkliche und wahre und beste Volk Europas . . .“. Diese Art von Strömungen, so Haffner, „sind deshalb von so großer Bedeutung, weil sich die deutsche Nationalbewegung auf die Dauer als der stärkere Partner in jenem schiefen preußisch-nationalen Bündnis erweisen sollte, aus dem das deutsche Reich entstand“.
Sebastian Haffner, Von Bismarck zu Hitler, Kindler Verlag GmbH, 1987